Voller Saal und viele Fragen: Beim Nebelempfang stehen Finanzminister Dr. Danyal Bayaz und Bundestagsabgeordneter Marcel Emmerich im Stadthaus Ulm Rede und Antwort.
Es ist kurz nach 21 Uhr, als Moderatorin Dana Hoffmann sagt, sie sei als „Spielverderberin“ gebucht und müsse jetzt die Fragerunde beenden. Drei letzte Fragen werden zugelassen – obwohl es im Saal des Stadthauses Ulm noch einige erhobene Hände gibt. Rund 180 Personen sind der Einladung des Grünen-Bundestagsabgeordneten Marcel Emmerich gefolgt und zum Nebelempfang gekommen. Das Interesse gilt der Bundespolitik, als dessen Vertreter Emmerich Fragen zu Themen wie der Chinapolitik oder des demokratischen Zusammenhalts in Zeiten multipler Krisen beantwortet. Vor allem wird aber auch Emmerichs prominenter Gast die Menschen in den Veranstaltungsraum mit – am Abend unvernebeltem – Blick auf das Ulmer Münster gelockt haben. Dr. Danyal Bayaz, Minister für Finanzen in Baden-Württemberg, ist auf Emmerichs Einladung nach Ulm gekommen, um gut 20 Minuten über seine Arbeit zu sprechen und im Anschluss Fragen aus dem Publikum zu beantworten – und in einer Zeit, in der nicht nur Ulm im Herbst, sondern auch politisch einiges im Nebel liegt, mehr Klarheit herzustellen.
Entspannt und gut gelaunt, aber in der Sache sehr deutlich, ist der Auftritt des Finanzministers, der über drei wesentliche Faktoren seiner Politik spricht: Konsolidierung, Entlastungen und Investitionen. Dieser Dreiklang sei nötig für eine nachhaltige Finanzpolitik für die Zukunft, sagte der Minister.Die heutigen Krisen machten deutlich, dass das bisherige Geschäftsmodell Deutschlands und auch Baden-Württembergs – mit Energieimporten aus Russland, Sicherheitsgarantien aus den USA und vielen Importen aus China – heute nicht mehr funktioniert. Deutlich zeige das die Zero-Covid-Politik Chinas, die Lieferketten beeinträchtige. Und natürlich der russische Angriffskrieg, der Terror und Leid über die Ukraine und viele Flüchtlinge ins Land bringe. Allein in Baden-Württemberg sind bereits mehr als 140 000 Menschen angekommen. Autokratische Herrscher wie Putin treiben andererseits auch die Inflation fossiler Energie und somit eine Krise, die das Land und die Bürger*innen unmittelbar betrifft. Es sei daher wichtig, für Entlastung zu sorgen, die möglichst zielgenau und schnell bei den Menschen ankommt. Zugleich sei es aber auch wichtig, ehrlich zu sein und zu sagen: „Wir werden nicht alle Kosten der Krise als Staat auffangen können.“ Sehr deutlich wurde Bayaz auch in der Frage der Unterstützung der Ukraine, die „unsere verdammte Pflicht“ sei. Trotz aller Herausforderungen könne Baden-Württemberg jedoch handlungs- und wettbewerbsfähig bleiben: Indem akute Risiken durch Pandemie, Inflation und Krieg durch Rücklagen abgesichert werden, Spielräume für Entlastungen und sinkende Steuereinnahmen einkalkuliert und in Innovation, Klimaschutz und Digitalisierung investiert werden. Bayaz, der kürzlich auf einer Delegationsreise in den USA war, sprach am Beispiel Pittsburgh – ehemals eine Hochburg der Stahlindustrie – darüber, wie Transformation gesteuert werden kann: Durch Mittel wie den Green Bond setze Baden-Württemberg in der Finanzpolitik die Leitplanken für die Zukunft – und in Baden-Württemberg könne.
Der Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich orientierte sich in seiner Rede an den Anliegen, die Bürger*innen in Mails an ihn herantragen. Drei Schwerpunkte habe es dabei in den vergangenen Monaten gegeben: Klimaschutz, die Sorge wegen des Kriegs in der Ukraine sowie die Energiekrise und ihre Auswirkungen. Konkret werde die Frage des Klimaschutzes beispielsweise bei PV-Anlagen und Windkraft. Die Erneuerbaren Energien seien heute „nicht nur Garanten für die Klimaschutz, sondern auch Wahrzeichen der Unabhängigkeit und Freiheit. Energiewende ist gleich Zeitenwende und umgekehrt.“ Anstatt über Öl- Vorkommen in der Nordsee zu sinnieren brauche es einen lösungsorientierten Blick nach vorne: „Für das was nötig ist reden wir zu viel über das fossile Gestern und zu wenig über das Erneuerbare Morgen.“ So könne Deutschland des schaffen – mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Verwaltungen, Unternehmen und ganz wichtig zusammen mit dem Handwerk – das erste klimaneutrale Industrieland zu werden.
Mit Blick auf die Ukraine und die Energiekrise sei es wichtig, die Ursache im Blick zu behalten: Auslöser ist der verbrecherische Angriffskrieg Russlands. Manche Bürger*innen forderten mehr Waffenlieferungen, andere mehr Diplomatie – wobei letztere Forderungen seit Bekanntwerden der Kriegsverbrechen in Butscha merklich zurückgegangen seien. „Dazu will ich drei Sachen sagen: 1.) Die Ukraine verdient unsere unabdingbare Solidarität. 2.) Die Ukraine verteidigt unsere Demokratie und Freiheit. 3.) Ob es zu einer diplomatischen Lösung kommt, entscheidet die Ukraine selbst und nicht wir.“
Angesichts der vielen Krisen der letzten Jahre habe der soziale Zusammenhalt stark gelitten, sagte Emmerich: Um dagegen anzugehen brauche es soziale und politische Teilhabe. „Wir brauchen mehr Diskursräume, die außerhalb von Markus Lanz und Twitter stattfinden. Hierfür sind Bürgerräte ein gutes Mittel, wo zufällig ausgewählte Menschen zusammen kommen. Aber gegen jene, die spalten, die sich schlimme und noch schlimmere Krisen wünschen, darf es kein Vertun geben. Diese Leute stärken nicht den Zusammenhalt, sondern nutzen Krisen für sich und ihren Extremismus. Dagegen müssen wir uns auflehnen.“ Trotz ernster und schwieriger Lage sei es wichtig, nach vorne zu blicken. Sei es mit dem 49-Euro-Ticket, das eine gute Sache sei, oder in den gemeinsamen Bemühungen im Umgang mit der Energiekrise. “Lassen Sie uns die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir am Ende besser dastehen als davor. Lassen Sie uns solidarischer, innovativer und mutiger werden.”
Als Fürsprecher der “professionellen Stocherer im Nebel” zeigte sich der Landtagsabgeordnete Michael Joukov in seinem Grußwort: Ihm ging es um Forschung und Innovation an den Hochschulen, die beispielgebend sein könnten für die zukünftige Ausrichtung des Landes Baden-Württemberg.
In der Fragerunde wurde deutlich, dass die Menschen aus Ulm und dem Alb-Donau-Kreis sich nicht nur interessieren, sondern auch mit vielen Themen intensiv beschäftigen. Sie fragten beispielsweise nach Förderungen für E-Bikes, der Unterbringung für Geflüchtete und der Einschätzung des Ministers zur europäischen Taxonomie.
Bayaz und Emmerich verbindet die gemeinsame Geschichte: Als Bayaz Finanzminister in Baden-Württemberg wurde, rückte Emmerich in den Bundestag nach. Das übernommene Mandat sei vor der Sommerpause wie ein Kurzpraktikum gewesen, sagte der 31-Jährige, der nach der Bundestagswahl selbst über den Listenplatz seiner Partei in den Bundestag einzog.
Mit einer Spendenaktion beendete Emmerich gemeinsam mit Claudia Steinhauer den Abend: Die Leiterin mehrerer Tafelläden in Ulm und dem Alb-Donau-Kreis hatte vor kurzem in einem Zeitungsartikel darauf hingewiesen, dass auch in Ulm die Tafel starken Zulauf hat. Sie bedauerte, dass die Menschen, die dort mit Lebensmittel-Spenden unterstützt werden, immer erst nach den Feiertagen an Schoko-Nikoläuse oder Osterhasen bekommen. „Osterhasen hatten wir noch im August“, sagte Steinhauer auf der Bühne, als sie gemeinsam mit Emmerich die Spendensammlung ankündigte: Gemeinsam mit Steinhauer hatte Emmerich angeregt, am Abend Geldspenden zu sammeln, um damit Schokoladen-Nikoläuse zu kaufen. Ein Aufruf, der viel Zuspruch fand – und mit mehr als 600 Euro in den Spendenboxen plus der Zusage von Dana Hoffmann, ihr Moderationshonorar des Abends zu spenden, den Kauf von mehreren Hundert Nikoläusen ermöglichen wird.