Carlo Masala zu Gast beim Nebelempfang 2023

Prof. Dr. Carlo Masala, Marcel Emmerich und Moderatorin Antje Berg. Foto: Moritz Reulein.

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Durchblick in herausfordernden Zeiten: Beim Nebelempfang des Grünen-Bundestagsabgeordneten Marcel Emmerich referiert Sicherheitsexperte Professor Dr. Carlo Masala darüber, was eine verteidigungsfähige Gesellschaft ausmacht.

Eine Zeit, in der gefühlt einmal pro Monat ein Jahrhundertereignis eintritt. In der Krisen sich aneinanderreihen und aufeinander aufbauen. In der Kriege die Weltordnung infrage stellen. In dieser Zeit den Überblick zu bewahren, daraus Prognosen und Schlüsse ziehen und diese auch noch anschaulich und verständlich zu vermitteln, ist keine einfache Aufgabe. Einer, der sie beherrscht, ist Professor Dr. Carlo Masala – wahrscheinlich der gefragteste Sicherheitsexperte dieser Zeit. Der Professor für internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München spricht pointiert und klar darüber, was er beobachtet und welche Schlüsse wir ziehen müssen – in Talkshows, Interviews oder mit Kolleg*innen seines Instituts im Podcast „Sicherheitshalber“. 

Als „Christian Drosten des Ukrainekriegs“ bezeichnete der Grünen-Bundestagsabgeordnete Marcel Emmerich Carlo Masala am Sonntagabend zu Beginn seines Nebelempfangs: Zum zweiten Mal hatte Emmerich zu dieser Abendveranstaltung eingeladen, die im nebligen Ulmer Herbst mehr Klarheit in die politischen Vorgänge bringen und allen Politikinteressierten Bürger*innen die Möglichkeit bieten soll, Menschen live zu sehen, die sie sonst nur aus den Medien kennen. Dass diese Einladung angekommen ist und das Thema die Menschen bewegt, war am Andrang vor der „Lichtburg“ und an den vielen Fragen an den prominenten Gast zu erkennen.

Bevor Marcel Emmerich und sein Gast die Politik des Bundes und in der Welt beleuchteten, warf die Landesvorsitzende der Grünen und Kandidatin für die OB-Wahl am 3. Dezember, Lena Christin Schwelling, einen Blick auf Ulm. Auch hier lasse sich beobachten, dass sich das Klima ändert – „wortwörtlich aber auch im übertragenen Sinne“. Schwelling spannte in ihrem Grußwort den Bogen von Hakenkreuz-Schmierereien im Münster über Demos von Verschwörungsgläubigen bis zu der Frage, ob die Erinnerungskultur in Deutschland sich angesichts der aktuellen Umbruchsphase nicht „noch kritischer“ mit den Anfängen des Nationalsozialismus auseinandersetzen müsse. 

„Wer hier Schutz sucht und wer sich anstrengt, sollte auch eine Chance bekommen.“

Marcel Emmerich

Marcel Emmerich, Obmann im Innenausschuss des Bundestags, sprach anschließend über die aktuellste Herausforderung für die Regierungsfraktionen: Das Urteils aus Karlsruhe, das die Finanzierung des Klima- und Transformationsfonds als verfassungswidrig erklärt. Der Ampel fehlen damit 60 Milliarden im Haushalt. „Was aber nicht fehlen darf, ist der Einsatz für den Klimaschutz und die Transformation“, sagte Emmerich: Denn auch hier gehe es letztlich um das Bestehen im internationalen Umfeld und um die Frage: „Wie stellen wir uns in so einer globalen Konkurrenzsituation auf?“ Deshalb müsse man ran an die Schuldenbremse, den Fachkräftemangel bekämpfen und auch angesichts der Migrationsdebatte auf populistische Narrative antworten, indem die Politik „Lösungen anbietet“ und dafür sorgt, „dass das Leben der Menschen besser wird“. Kommunen müssten unterstützt, Migrationsabkommen zur Steuerung von Zuwanderung geschlossen werden – und die Menschen, die hier sind, müssten arbeiten dürfen. „Wer hier Schutz sucht und wer sich anstrengt, sollte auch eine Chance bekommen.“   

Angesichts des Drucks von außen und den Ängsten, die daraus entstehen sei es wichtig, dass der Staat sich gut aufstelle, demokratische Parteien zusammenstehen und auch der Zusammenhalt mit anderen liberalen Demokratien in Europa gestärkt werde. Der Staat müsse „resilient sein“, sagte Emmerich – und lieferte damit – und auch mit dem Verweis auf die Einflussnahmen aus Russland und China auf Medien und Diskurse – schon eines der Stichworte, auf die Professor Dr. Carlo Masala in seinem rund vierzigminütigen Vortrag abzielte.  

Masala skizzierte einen Blick auf die Konflikte in der Welt, in der man den Eindruck bekommen könne, es gäbe an allen Ecken und Enden Kriege und Konflikte: Russlands Krieg gegen die Ukraine, Israels Einsatz in Gaza nach den Massakern der Hamas  – aber auch Putsche in der Sahelzone, die Rückeroberung von Bergkarabach durch Aserbaidschan, die Spannungen von China mit den Philippinen. Überlagert werde das zusätzlich durch die Klimakrise und die Migrationsfrage. Das könne „Menschen dazu verleiten, zu glauben, dass wir in exzeptionellen Zeiten leben“, sagte Masala: Besonders auf der „friedlichen Insel“, die Europa in den vergangenen 30 Jahren weitgehend war. Doch nicht die Anzahl der Konflikte, die als Polykrisen bezeichnet werden, sei neu. Sondern, dass diese sich zueinander verhalten „wie kommunizierende Röhren“. Und dass es Akteure gebe, die diese Krisen bewusst miteinander verbinden, um ihren eigenen Vorteil daraus zu schlagen. Als Beispiel nannte Masala mit Blick in den Nahen Osten die Vorstellung, man müsse den Iran von einer aktiven Einmischung abhalten. Das ginge nicht ohne Russland – und der Preis dafür läge in der Ukraine. Verknüpft seien auch die Fragen Klimakrise und Migration: „Sie können die Migrationsfrage nicht produktiv lösen, auf Dauer, wenn sie sich nicht mit der Frage des Klimawandels beschäftigen.“ Diese Verzahnung mache die Regulierung von Konflikten so schwierig – und diese Schwierigkeit werde „das Kennzeichen des 21. Jahrhunderts“ sein. „Daran müssen wir uns gewöhnen“, stellte Masala fest. Was wir erlebten, sei der maximale Stresstest für die liberale Weltordnung und ein neuer Konkurrenzkampf um die internationale Ordnung – zwischen aufstrebenden Staaten wie China, Brasilien, Indonesien und der relativ an Macht verlierenden USA und der Europäischen Union. Der Vorstellung, dass daraus eine multipolare Welt entstehe, widersprach Masala: Die Entwicklung gehe hin zu einer neuen Bipolarität zwischen China und den USA oder zu einer abgeschwächten amerikanischen Unipolarität. Für die Zukunft bedeute das neben dem neuen Kalten Krieg mit Russland und der wachsenden Verantwortung für Europa eine vor allem wirtschaftliche Auseinandersetzung mit China um die Innovationen in Zukunftstechnologien.

Klar sei, dass es ein neues Verständnis von Verteidigung brauche, die nicht nur auf „den russischen Panzer“ schaue, sondern auch auf die zuvor von Marcel Emmerich schon angesprochenen Punkte von Desinformation, Cyberattacken und Extremismus: „Das höhlt unsere Demokratie aus.“ Masala beendete seinen Vortrag mit der Feststellung, Deutschland werde keine Zeitendwende schaffen, „wenn nicht bei jedem einzelnen von uns das Bewusstsein vorhanden ist, dass wir in einer Gesellschaftsform leben, die es sich lohnt zu verteidigen – und zwar mit allen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen.“ In der anschließenden Diskussionsrunde, durch die Moderatorin Antje Berg führte, vertieften die vielfältigen Fragen aus dem Publikum den Austausch mit dem Abgeordneten Marcel Emmerich und dem Sicherheitsexperten Carlo Masala. Beispielsweise zu einer neuen militärischen Strategie in Bezug auf China  – „die größte militärische Bedrohung Europas ist Russland“, zur Wahrscheinlichkeit eines Übergriffs Russlands auf Nato-Territorium – „Abschreckung hängt von der Glaubwürdigkeit ab“, oder zum Spaltungspotenzial sozialer Ungleichheit.