Nachbericht zur Veranstaltung Flucht & Trauma 17. Januar 20236. September 2023 Was braucht es, um traumatisierten Geflüchteten einen sicheren Ort zum Ankommen zu bieten? Welche Strukturen helfen, welche hindern eher – und was wünschen sich die Helfer*innen und Mitarbeiter*innen der Kommunen? Um diese und ähnliche Fragen ging es in der Veranstaltung „Flucht und Trauma: Was brauchen die Menschen, die kommen – was brauchen Helfer*innen?“. Das Thema liegt mir sehr am Herzen. Denn ich habe mich schon vor meiner Zeit im Bundestag bereits mit der Gründung der Ulmer Lokalgruppe der Seebrücke für sichere Fluchtwege im Bereich Flucht und Migration engagiert. Es war ein spannender, sachlicher Austausch in einer interessant besetzten Runde: Mit mir waren Olena Vorontsova (ILEU e.V.), Elena Moehrke (Medinetz), Andreas Krämer (Stadt Ulm, Leiter Soziales), Elena Flügel (Menschlichkeit e.V.), Wolfgang Erler (Flüchtlingsrat UIm/Alb-Donau) und Dr. Regina Saile (Behandlungszentrum für Folteropfer, Therapeutische Leitung) auf dem Podium. Mehr als 50 Zuhörer*innen, viele davon engagiert im Bereich Flucht und Migration, waren außerdem ins Weststadthaus gekommen. Mit einem fachlichen Input zu ihrer Arbeit leitete Dr. Regina Saile den inhaltlichen Teil des Abends ein: Das Behandlungszentrum für Folteropfer (BFU), das auf Psychotherapie, psychosoziale Beratung und Begleitung von traumatisierten Geflüchteten spezialisiert ist, wolle für die Betroffenen ein „sicherer Ort“ sein, an dem sie „Zugehörigkeit“ erfahren können, sagte sie. Denn die soziale Unterstützung spiele eine große Rolle bei der Verarbeitung von Flucht und Traumata. Aus Gesprächen mit Geflüchteten wisse sie, dass selbst geringe Überlebenschancen auf der Flucht sie nicht davon abhalten – immer mit dem Ziel, irgendwann Sicherheit zu erreichen. „Die Menschen haben für sich keine andere Chance gesehen, als zu gehen“, fasste Dr. Saile zusammen – das sei jedoch nicht gleichzusetzen mit einer freiwilligen Entscheidung. In Bezug auf psychische Erkrankungen sei es besonders riskant, wenn Geflüchtete dort Gewalt erfahren, wo sie Schutz und Sicherheit erwarten – beispielsweise durch Ausgrenzung und Rassismus. Es sei entscheidend, dass Geflüchtete als Rechtsträger*innen und nicht als Bittsteller*innen gesehen würden, lautete ein Fazit der Therapeutischen Leiterin des BFU – und ein gesellschaftliches Bewusstsein, dass Geflüchtete zu den vulnerabelsten Gruppen einer Gesellschaft gehören. Die Stabilisierung von traumatisierten Geflüchteten sei ein langwieriger Prozess – zugleich sei das BFU mit 3,5 Vollzeit-Stellen für Psycholog*innen für zehn Landkreise zuständig und könne daher nur einen Bruchteil der Anfragen bearbeiten, die an das Zentrum gerichtet werden. Die Vereine könnten diese Lücke nicht schließen, legten Wolfgang Erler von Flüchtlingsrat und Elena Flügel von Menschlichkeit e.V. dar. Sie versuchten jedoch, die Menschen so zu unterstützen, dass sie „die Kontrolle über ihr eigenes Leben bekommen“ (Erler). Behörden würden dabei von Geflüchteten oft als Gegner wahrgenommen, sagte Flügel, die eine bessere Schulung von Behörden im Umgang mit Traumatisierten forderte – beispielsweise für Mitarbeiter*innen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, die in Gesprächen ohne Weiterbildung oft nicht unterscheiden könnten, ob absichtlich oder als Folge von Trauma und Verdrängung widersprüchliche Angaben gemacht werden. In Ulm gebe es in Bezug auf die Arbeit mit Geflüchteten bereits einen guten „Team-Gedanken“ zwischen Vereinen und der Stadt, sagte sie – diese Kooperation sei wichtig. Andreas Krämer, Leiter der Abteilung Soziales der Stadt Ulm, bekräftigte das: Für die Verwaltung stünden zunächst Grundbedürfnisse wie Wohnen und Beschulung im Vordergrund. Probleme, die nicht einfach zu lösen seien, weil beispielsweise in Bezug auf ukrainische Geflüchtete zunächst Lehrkräfte gefunden werden müssten. Olena Vorontsova, die selbst aus der Ukraine stammt und sich seit Sommer in der Ukrainehilfe des Vereins ILEU engagiert, sagte, das Engagement der Menschen in Ulm sei bei den Geflüchteten gut angekommen – jedoch fehle es beispielsweise an Übersetzer*innen und der Bereitschaft mancher Ämter, auch telefonische Übersetzung zu akzeptieren. Das Thema Trauma komme bei den Geflüchteten aus der Ukraine möglicherweise erst später, sagte Vorontsova: „Es sind hauptsächlich Frauen – und Frauen sind tapfer“, fand sie – zumal sie zunächst mit der Organisation des Alltags beschäftigt seien. In Sprachkursen bekomme sie aber öfter mit, dass die Geflüchteten die aktuellen Angriffe stark beschäftigen. Dann bekomme sie manchmal Nachrichten auf dem Handy gezeigt. Sorgen machten ihr vor allem die Jugendlichen, die teilweise noch nicht beschult werden und für die es kaum Angebote gebe. Auch von Mobbing auf dem Schulhof berichtete Vorontsova. Aus ihrer Sicht müsse man sich diesem Thema jetzt annehmen, damit kein Problem für die Zukunft daraus entstehe. Elena Moehrke von Medinetz berichtete, dass die Menschen, die sich an ihren Verein wenden, oft jahrelang ohne Krankenversorgung waren. Auch wenn es bemerkenswert sei, was ehrenamtlich in den unterschiedlichen Bereichen geleistet werde, sei es wichtig, dass die medizinische Versorgung politisch neu geregelt werde und alle Geflüchteten Anspruch darauf hätten, zumindest für die ersten 18 Monate. Ich bedanke mich für den produktiven Austausch. Die verschiedenen Anliegen werde ich mit nach Berlin in meine Arbeit nehmen. Ich finde es wichtig, dass gerade die Engagierten sich offensiv in die Debatten einbringen. Neben den Themen Prävention psychischer Erkrankungen und der finanziellen Unterstützung für Zentren wie das BFU ist es grundsätzlich wichtig, Migration und Flucht als Fakt anzuerkennen und entsprechende Voraussetzungen und Strukturen zu schaffen. Denn wenn man keine stabilen Strukturen hat, hat man immer wieder neue Debatten.